Mohammed ist Mitte 20, hat einen Bachelor in Computer Science, kommt aus Bagdad und sitzt im August 2015, als er Anne Kjær Riechert kennenlernt, in einem Berliner Flüchtlingsheim – statt zu programmieren, was er eigentlich will. Nur: Ohne Laptop geht das nicht. „Das war mein Schlüsselerlebnis“, erinnert sich Anne Kjær Riechert. Die Idee der ReDI School of Digital Integration war geboren.
Die Dänin trifft damit den Zeitgeist. Aus ihrem Freundeskreis erreichen sie zahlreiche Hilfsangebote: Laptops, Räume, Menschen, die unterrichten wollen. Es ist der Sommer, in dem die Flüchtlingskrise ihren Höhepunkt erreicht. Angela Merkel sagt: „Wir schaffen das.“ Und Kjaer Riechert spürte, dass alle etwas tun wollten. „Geflüchteten programmieren beizubringen, war eine einfache Idee, ihr Leben hier vom ersten Moment an zu verbessern“, sagt sie. Nach zwei Wochen steht die Webseite für ihre Initiative, erste Pilot-Workshops laufen an. Drei Monate später gründet sie mit Ferdi van Heerden eine gemeinnützige GmbH. Die ersten Kurse beginnen 2016 mit 42 Teilnehmern. Seitdem wächst das soziale Unternehmen rasant. In diesem Semester sind rund 550 Schüler in Berlin, München und Kopenhagen eingeschrieben. Nicht nur für Profi-Themen, die ReDI School bietet auch Grundlagenkurse zum digitalen Arbeiten an. Mit an Bord sind 80 Unternehmen, von Start-ups bis zu Großunternehmen wie Microsoft, Salesforce, Cisco und Facebook. Lehrkräfte, Räume, Geräte oder finanzielle Mittel: Unternehmen und ihre Mitarbeiter packen mit an, engagieren sich für Weiterbildung, die Menschen hilft – und nicht zuletzt auch ihnen, denn der Fachkräftemangel wird immer spürbarer.
Der IT-Fachkräftemangel stellt ein Problem für die deutsche Wirtschaft dar. Laut Institut der deutschen Wirtschaft fehlen derzeit fast 60.000 IT-Spezialisten. „Die Informatik-Studenten, die von den Universitäten kommen, reichen nicht“, erklärt ReDI School-Gründerin Kjær Riechert. Auf sie kann die Wirtschaft weder warten noch sind es genug, um den Bedarf zu decken. „Unter den Geflüchteten, die zu uns kommen, sind viele IT-Talente, die der Arbeitsmarkt dringend braucht. Allerdings können sie sich hier keine Ausbildung leisten.“ Ihnen bietet die Schule eine mehrmonatige Weiterbildung in IT-Fachkenntnissen wie Programmieren, Business Intelligence, Blockchain oder Internet of Things.
„Das ist die eine Hälfte“, erklärt Kjær Riechert. Die andere Hälfte sind Grundlagenkurse, die Geflüchtete mit geringem digitalem Bildungsniveau fit für das Berufsleben in Deutschland machen, indem sie den Umgang mit Smartphone, Laptop, Word, Excel und Powerpoint vermitteln. „Das ist nicht einfach für Frauen aus Afghanistan oder Eritrea, die oft nur wenige Jahre eine Schule besucht haben und ohne dieses technologische Basiswissen ganz außen in unserer Gesellschaft bleiben.“ So erhalten sie Chancen – und der Arbeitsmarkt motivierte Köpfe.
Beide Bildungswege schreiben Erfolgsgeschichten, „Digital Empowerment“ genau wie die „Highend“-Ausbildung zum Digitalexperten. Wie die von Genet aus Eritrea, die vor sechs Monaten eine Ausbildung zur Zahnarzt-Assistentin angefangen hat. Oder die von Anan, einer Ingenieurin aus Syrien, die jetzt als Projektleiterin bei der Deutschen Bahn arbeitet.
Auch bei den Teilnehmern der IT-Fachkurse sind die Erfolgsquoten enorm: 40 Prozent studieren an einer Universität oder absolvieren eine Ausbildung, 38 Prozent arbeiten in bezahlten Jobs oder Praktika und rund sechs Prozent gründen eigene Unternehmen. Die ReDI School stellt kein gutmeinendes Elfenbeinturm-Projekt dar: Sie funktioniert, sie liefert belastbare Erfolgszahlen. 1.100 Absolventen hat die ReDI School seit ihrer Gründung fit für den deutschen Arbeitsmarkt gemacht. Mit diesem Erfolg im Rücken könnte die gemeinnützige Organisation noch wesentlich stärker expandieren als sie es derzeit an den drei Standorten Berlin, München und Kopenhagen tut. „Das Interesse von Unternehmensseite ist enorm“, so Geschäftsführerin Kjær Riechert. „Sie suchen digitale Talente, um ihre offenen IT-Stellen zu besetzen, und unterstützen uns, weil sie den Sinn unseres Konzepts verstehen.“ Deshalb läuft der Austausch mit Unternehmen sehr gut und unkompliziert: Sie kontaktieren die ReDI School mit ihrem Bedarf, diese vermittelt passende Bewerber. „Das ist genau die Win-Win-Idee, an die ich glaube“, sagt Kjaer Riechert. „Wir sehen uns als Plattform, als Community, in die sich Unternehmen jeder Größe genau wie Privatpersonen einbringen können.“
So ist ein einzigartiges, stetig wachsendes Netzwerk zu Unternehmen und führenden Köpfen der IT- und Digitalbranche entstanden, in dem Unternehmen spätere Mitarbeiter oder Partner in Kursen treffen – oder frühere Kursteilnehmer heute Kurse halten.
Ein Netzwerk, mit dem die Branche Menschen und sich selbst hilft und die Voraussetzungen für weiteres Wachstum schafft. Vorbei an staatlichen Stellen, die für die Digitalbranche häufig zu langsam sind. So auch bei der ReDI School: Die bayrische Hauptstadt ist mit ihrem Münchner Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramm Vorreiter und finanziert der Initiative Arbeitsplätze. Damit stellt sie eine Ausnahme dar.
„Vor allem die Zusammenarbeit mit den Jobcentern ist sehr schwierig“, erzählt die Geschäftsführerin. Zwar hat die ReDI School das Zertifikat durch die Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung AZAV erworben, das nötig ist, um für Weiterbildungsmaßnahmen durch sogenannte Bildungsgutscheine zugelassen zu werden. Allerdings dringt das digitale Kursangebot nicht bis zu den Mitarbeitern durch, sodass sie geeignete Arbeitssuchende nicht an die ReDI School vermitteln.
„Hacking the Jobcenter Process“, also das Einbringen von Innovationen in die Abläufe dort, ist daher auf Kjaer Riecherts Agenda weit oben. Und auch dabei können Unternehmen sie unterstützen. Denn die ReDI School zeigt, wie erfolgreich Unternehmen, Initiativen und öffentliche Stellen zusammenarbeiten können. ■