NAH MAGAZIN / INTERVIEW MIT FRANK RIEMENSPERGER, ACCENTURE

Leadership DNA in Unternehmen: „Die Zeit der Einzelkämpfer ist abgelaufen“

 
 

Frank Riemensperger führt mit Accenture seit 30 Jahren Unternehmen durch Veränderungsprozesse. Im Interview spricht er über die kulturellen Herausforderungen der Transformation, den Stand in Deutschland – und Accentures eigenen Weg.

 

Herr Riemensperger, Sie kennen die deutsche Wirtschaft und deren Weg durch die Transformation sehr genau. Wo liegen die Herausforderungen?

Wir sind am Ende des alten Zyklus, der von standardisierten, industrialisierten Prozessen geprägt war. Und am Beginn eines neuen. Die deutsche Industrie hat ihren Erfolg in der vorherigen Standardisierung begründet. Jetzt findet aber ein grundlegender Wandel statt. Sehen Sie sich die Autoindustrie an: Der Weg zu neuen Mobilitätskonzepten stellt ganz andere Anforderungen an Prozesse und Arbeitsweisen. Ein Auto sieht von außen immer noch so aus wie vorher, aber alles andere verändert sich.
Frank Riemensperger
 

„Alle Unternehmen befinden sich auf dem Weg in die Plattform-Ökonomie.“

Wie weit ist dieser kommende Zyklus und was zeichnet ihn aus?

In Deutschland sind wir, was den Weg dorthin angeht, nicht weiter als zehn Prozent. Wir befinden uns mit unseren Unternehmensprozessen und -systemen auf einer Reise in die Cloud. Das gilt für Unternehmen jeder Größe. Dabei handelt es sich nicht einfach um eine technische Migration. Alle Unternehmen befinden sich auf dem Weg in die Plattform-Ökonomie. Die Designprinzipien verändern sich. Leistungsversprechen verändern sich, Daten werden als Treibstoff genutzt und enorm kurze Zyklen werden möglich. Das fordert Unternehmen bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit.

Wie begleiten Sie als Accenture Unternehmen durch diese Herausforderung?

Wir können nicht über die neue Welt sprechen, ohne sie jeden Tag zu leben. Wir haben selbst ein riesiges Change-Management-Projekt mit unseren 10.000 Mitarbeitern in der  deutschsprachigen Region durchlaufen. Wir mussten unsere eigenen Arbeits- und Verhaltensweisen ändern, damit wir in der Lage sind, Kunden zu coachen. Unser eigener Lösungsansatz wie auch der für unsere Kunden haben die gleichen Attribute: Sehr kurze Zyklen, Nutzung von Daten, dynamische Steuerung des Geschäfts über Daten und Personalisierung.
 

„Wir können nicht über die neue Welt sprechen, ohne sie jeden Tag zu leben.“

Können Sie uns mehr dazu erzählen?

Wir haben etwa mit dem Programm Leadership DNA fünf Werte definiert, die jedes Team aus Führungskräften erfüllen muss. Nicht jeder Einzelne wird alle abdecken, aber das Team muss sie erfüllen. Diese Leadership DNA verbindet uns.

Spielte dieses verbindende Element auch eine Rolle bei den Zukäufen? Accenture hat sich in den vergangenen Jahren ja deutlich vergrößert.

Ja. Gemeinsame Werte für Führungsteams sind sehr wichtig. Damit verbunden ist unser Prinzip der Culture of Cultures: Diese Firmen haben eine andere Kultur, ein anderes Verständnis von Zusammenarbeit. Da können Sie nicht einfach etwas anderes darüberstülpen. Wir haben unsere Kultur und unser Kulturverständnis geändert, sonst könnten wir die neuen Familienmitglieder nicht halten.

Sind diese Werte auch Leitwerte für Transformationsprojekte Ihrer Kunden?

Wir trennen das ganz bewusst. Niemand kann in Anspruch nehmen, dass seine Kultur die richtige für alle anderen ist. Arbeitsweisen lassen sich adaptieren, aber die Leadership DNA muss jedes Unternehmen für sich selbst entwickeln und gemeinsam umsetzen.
 

„Gemeinsame Werte für Führungsteams sind sehr wichtig.“

 

Ist diese Leadership DNA in Unternehmen mit den bewährten Akteuren möglich oder braucht es einen neuen Typ Vorstand?

Es braucht vielleicht ein neues Vorstandsteam. Sie müssen in Summe die Kompetenzen und Fähigkeiten haben. Die Zeit der Einzelkämpfer ist abgelaufen. Es braucht Teams – die im Zusammenspiel das Kompetenzen- und Werteset ausfüllen. Digitalisierung ist ganz klar Chefsache, kann aber nur gemeinsam gelingen. Zunächst im Führungsteam, dann von dort aus ins ganze Unternehmen hinein.

Heißt das auch, dass ich Arbeitsweisen nur umstellen kann, wenn ich ein gemeinsames internes Verständnis davon habe, was die Kultur ist?

Richtig. Aber dieser Punkt – was heißt das für unsere Zusammenarbeit? – ist bei jedem Unternehmen individuell. Wir haben gelernt, dass es viele unterschiedliche Varianten gibt, die funktionieren.

Können Sie ein paar Varianten skizzieren?

Denken Sie nur an Entscheidungsabläufe: Wenn ein Prozess, der früher eine Woche gedauert hat, jetzt in einer Stunde gehen soll, dann müssen Sie Entscheider aus der Kette nehmen oder automatisieren. Das nächste sind KPIs: Wie messen Sie Erfolg und Leistung? Auf welche Kennwerte optimiert ein Unternehmen? Das geht tief in kulturelle Fragen und den Aufbau der Führungsorganisation hinein.
 

„Digitalisierung ist ganz klar Chefsache, kann aber nur gemeinsam gelingen.“

Wenn es kein Patentrezept für Erfolg gibt, gibt es dann Erfahrungen, wie es definitiv nicht gelingt?

Was definitiv nicht funktioniert: Neue Lösungen adaptieren, aber Kultur, Zusammenarbeit und Führung außen vor lassen.

Da Führung so wichtig ist: Muss der Impuls von oben kommen?

Absolut, bei derartigen Veränderungsprozessen immer. Das setzt zudem voraus, dass im Unternehmensvorstand ein inneres Feuer brennt. Sonst gibt es keine inspirierende Vision. Dann laufen derartige Programme schleppend – oder gar nicht.

Da, wo kein Funke ist, kann keiner überspringen.

Ja. Und wenn der Vorstand die Transformation angeht, ohne diesen Funken zu haben, dann muss man ernsthaft fragen: Meint ihr das ernst? Oder handelt ihr aus einem Druck heraus, aber ohne Überzeugung? Transformation kann nur gelingen, wenn der Wille im Vorstand da ist.
 
Frank Riemensperger, Vorsitzender der Geschäftsführung von Accenture für die DACH-Region, ist vielbeschäftigt: Er agiert auch in verschiedensten Präsidien, Jurys und Arbeitskreisen. Sie alle verbindet Innovation durch Technologie.
 

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