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Glaubwürdigkeit von Unternehmen in Bezug auf Werte: Keine Macht der Phrasendrescherei

 
 

Glaubwürdigkeit und eine wert(e)volle Identität als Anker im digitalen Wandel

Bei Werten in der Wirtschaft ist es ein bisschen wie mit Partnerbörsen: Überall finden sich hochattraktive Singles, welche allesamt gebildet, sportlich und ehrlich sind. Es kann indes schon mal vorkommen, dass der gutaussehende, naturverbundene, junggebliebene Abenteurer sich beim ersten Treffen als frühpensionierter Couch Potato mit Deoallergie und schütterem Haar erweist. Nicht selten passiert ähnliches auch bei Unternehmen: Der Blick hinter die Fassade enthüllt, dass das scheinbar so verantwortliche Unternehmen es in Wirklichkeit mit Gesetzen und Fairnessregeln nicht ganz so genau nimmt.
 

„Bisweilen könnte man den Eindruck gewinnen, dass manche Führungskräfte Werte gar als etwas Anrüchiges empfinden.“

Strategie statt Gefühlsduselei

In der Wirtschaft kommt es immer wieder vor, dass – trotz aller öffentlichen Bekenntnis zur Bedeutung von Werten – Führungskräfte bei Themen wie Corporate Social Responsibility (CSR) im engsten Kreis eher nicht in Jubelarien ausbrechen. Ganz im Gegenteil: Man ist irgendwie froh, wenn man schnell einen Haken an das Thema machen kann. Bisweilen könnte man den Eindruck gewinnen, dass manche Führungskräfte Werte gar als etwas Anrüchiges empfinden. Das Fremdeln der Führungskräfte dürfte auch daher rühren, dass das Thema auf den ersten Blick eher soft anmutet und gerne mit Gefühlsduselei assoziiert wird.
Anders sieht es aus, wenn Werte in die Strategie eines Unternehmens Einzug finden und als Querschnittsaufgabe verankert werden. Hier geht es dann darum, die eigene Wertschöpfungstätigkeit verantwortlich auszugestalten – angefangen bei Arbeitsbedingungen in Lieferketten über die Entwicklung von umweltfreundlichen Technologien bis hin zur familienfreundlichen Personalpolitik.
 

„Gelebte Werte sind in der Wirtschaft ein Werttreiber – zumindest, wenn man ihr Management ernst nimmt.“

 

Gelebte Werte sind in der Wirtschaft ein Werttreiber – zumindest, wenn man ihr Management ernst nimmt. Der Vorteil von Werten existiert dabei übrigens eher nicht auf Absatzseite, da Kunden – entgegen ihrer zumeist öffentlich vorgebrachten Zusicherungen – Aspekte wie Arbeitsbedingungen und Umweltschutz bei ihren Kaufentscheidungen oftmals nicht berücksichtigen.

Ganz anders ist es dafür im Personalbereich: Wert(e)volle Arbeitsinhalte und Unternehmensreputation haben stark an Bedeutung gewonnen, sodass handlungsleitende Werte die Fähigkeit zur Bindung und Gewinnung von Mitarbeitern steigern. Immer mehr Menschen wollen für ein Unternehmen arbeiten, auf das sie stolz sein können.

Prof. Dr. Nick Lin-Hi
 

„Immer mehr Menschen wollen für ein Unternehmen arbeiten, auf das sie stolz sein können.“

Vertrauen und Motivation schaffen

 
Ich vertrete die These, dass Werte noch einmal deutlich an Relevanz gewinnen werden, und zwar aufgrund der tiefgreifenden Veränderungen durch die Digitalisierung. Für Unternehmen geht Industrie 4.0 mit dem großen Versprechen der Effizienzsteigerung einher. Für viele Mitarbeiter erscheint die Digitalisierung jedoch als Bedrohung. Nicht nur leistungslähmende Sorgen und Zukunftsängste machen sich in der Belegschaft breit, es bauen sich auch interne Reaktanzen gegen Veränderungsprozesse auf. Gelebte Werte helfen, sie abzubauen. Schaffen Vertrauen und Motivation. Unternehmen, die glaubhaft vermitteln können, dass sie ihre Werte leben, werden aus den anstehenden tiefgreifenden Veränderungen gestärkt hervorgehen.
 

„Unternehmen, die glaubhaft vermitteln können, dass sie ihre Werte leben, werden aus den anstehenden tiefgreifenden Veränderungen gestärkt hervorgehen.“

Die Glaubwürdigkeit von Unternehmen in Bezug auf Werte ist auch davon abhängig, dass Fehlverhalten vermieden wird. Denn negative Informationen rufen regelmäßig stärkere affektive und kognitive Reaktionen hervor als positive Informationen. Aus diesem Grund kann ein einziger Skandal bereits ausreichen, um die gesamte Wahrnehmung eines Unternehmens im Hinblick auf seine Werte auf Jahre zu zerstören. Das Beispiel Enron, ehemals einer der größten Konzerne der USA, zeigt, dass unverantwortliches Verhalten ein Unternehmen sogar die Existenz kosten kann. 

So heißt es nicht umsonst bei Shakespeare: „Was Menschen Übles tun, das überlebt sie. Das Gute wird mit ihnen oft begraben“. Indes zeigen immer wieder anzutreffende Verfehlungen wie Steuerhinterziehung, Korruption oder Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten, dass Unternehmen in diesem Bereich Nachholbedarf haben. Werte sind nur dann keine Phrasendrescherei, wenn sie ernsthaft das Handeln leiten. Neben entsprechenden Organisationsstrukturen bedarf es hierfür insbesondere Führungskräfte, die Werte regelmäßig vorleben.

Prof. Dr. Nick Lin-Hi ist Professor für Wirtschaft und Ethik an der Universität Vechta. Der studierte Betriebswirt promovierte an der Handelshochschule Leipzig und war anschließend Juniorprofessor für CSR an der Universität Mannheim. Obgleich erst 38 Jahre jung, zählt er bereits heute zu den führenden CSR-Experten und berät regelmäßig Unternehmen bei der Entwicklung von wertschaffenden CSR-Strategien. Seine Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge einfach, humorvoll und zugleich gehaltvoll darzustellen, macht ihn zu einem gefragten Redner im In- und Ausland.

Aktuelle Forschungsschwerpunkte:

  • Arbeitsbedingungen in Schwellen- und Entwicklungsländern

  • CSR-Management, nachhaltiger Konsum

  • Unternehmerisches Fehlverhalten

  • Verantwortung in Lieferketten

  • Wirtschafts- und Unternehmensethik

 

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