Frau Amer, Sie beraten Unternehmen auf deren Weg zu mehr Nachhaltigkeit. An welchem Punkt stehen Unternehmen Ihren Erfahrungen nach momentan?
Das ist sehr individuell, unsere Kunden sind an ganz unterschiedlichen Stellen auf ihrer Reise. Wir sehen aber schon noch eine große Lücke zwischen denen, die es ernsthaft angehen wollen und den Unternehmen, die das Ganze gerne auch mal wegdelegieren aus der Führung ins Nachhaltigkeitsteam und sagen „wir machen doch da schon was“. Das mag schon stimmen – wird aber nicht reichen. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren, wir müssen ins Umsetzen kommen. Klimaschutz gibt es nicht umsonst und nichts tun wird weitaus teurer. Deshalb freut es mich, dass die Zahl derer, die Klimaschutz ernsthaft angehen wollen, immer weiter steigt.
Oft stehen Unternehmen vor der Frage, womit sie am besten anfangen. Wie gehen Sie typischerweise vor?
Nachhaltigkeit basiert immer auf Transparenz. Die wenigsten haben die Transparenz, wie groß ihr Fußabdruck ist – sprich – wieviel sie zum Klimaproblem beitragen. Viele Unternehmen wissen meist nicht, was bei ihnen die Haupttreiber sind für Emissionen sind. Wir stellen also als erstes immer Transparenz her. Wir analysieren, wo und wann Verbräuche entstehen und arbeiten dann mit vier Hebeln, die sowohl im Unternehmen selbst greifen, als auch bei der vor- und nachgelagerten Lieferkette und dem Produktlebenszyklus.
Welche Hebel sind das?
Energieeffizienz steigern, regenerative Energien nutzen, den Bezug von Grünstrom erweitern und – als letzte Option – unvermeidbare CO2-Emissionen mit Kompensationsmaßnahmen ausgleichen. Wir beginnen immer mit der Energieeffizienz: Wo kann ich Energie einsparen? Dann folgt der eigene Grünstrom und danach der Zukauf. Für CO2 Emissionen, welche unvermeidbar sind, kommen Zertifikate ins Spiel, um diese zu kompensieren. Je nachdem, wie man die vier Hebel ins Verhältnis setzt, entstehen unterschiedliche Pläne und Szenarien. Übrigens sind diese vier Hebel auch bei Bosch KPIs für die Umsetzung bei unserer eigenen Nachhaltigkeitsstrategie.
Wissen Unternehmen denn dafür gut genug, wie viel Emissionen sie wo produzieren?Auch hier ist das Bild unterschiedlich. Gerade in der Industrie ist die Komplexität hoch. Wenn ich im Gegensatz dazu über einen Dienstleister spreche, der nur Strom für seine Büroräume braucht und keine Produktion betreibt, ist es vielleicht einfacher. Aber in einem Industriebetrieb geht es ganz zentral darum, ob Emissions-Daten in einer Qualität vorliegen zu haben, die ein wirtschaftliches Handeln ermöglichen. Deswegen müssen Digitalisierung und Nachhaltigkeit zum Beispiel auch Hand in Hand gehen.
Was tun sie bei ungenügenden Daten?
Wir stellen immer wieder fest, dass die Datenbasis eben nicht vollständig oder nicht inhaltlich richtig ist. Deswegen führen wir Plausibilitätschecks durch und haben Expert:innen, die unterstützen, damit wir aufgrund von Erfahrungswerten diese Datenlücken schließen können.
KPIs sind zum Messen des Erfolgs sehr wichtig. Spielen sie auch eine Rolle dabei, Nachhaltigkeit im Unternehmen kulturell zu verankern?
Daten tragen zur Unternehmenstransformation signifikant bei – es muss belastbar gezeigt werden, wo die Daten herkommen, wo das Unternehmen steht und wo man zukünftig hin will. Diese Transformation zu erzählen und allen auch zu zeigen, wie sie Teil dieser Transformation werden können, ist für den Erfolg absolut elementar. Damit die Transformation glaubhaft ist, müssen die Daten klar und nachvollziehbar sein. Und wenn die Mitarbeiter:innen dann noch motiviert sind, weil sie sich einbringen können, dann entsteht eine ganz starke Dynamik. Bei Bosch etwa haben wir dank unserer Expert:innen im Bereich Energieeffizienz seit 2019 über 2000 Projekte erfolgreich umgesetzt, allein 2020 kamen rund 1 000 neue Projekte hinzu. Mit ihnen haben wir ein Einsparpotenzial von 0,38 TWh erschlossen.
In der Industrieproduktion ist der echte Umbau zeitaufwendig. Sollten Unternehmen ihre Strategie in verschiedenen Phasen planen, um eine klare Roadmap zu haben?
Ein guter Plan hat noch nie geschadet. Das ist genau der Teil, wo wir ansetzen. Innerhalb von vier Wochen erhalten unsere Kunden verschiedene Szenarien, wie sie starten können, CO2-neutral zu werden. Wir zeigen auf, wie sie die vier Hebel kombinieren können – je nach Zielsetzung. Wer schnell CO2 reduzieren will, wird stärker auf Grünstromzukauf und Zertifikate setzen. Wer ernsthaft reduzieren will, wird sich auf die anderen beiden Hebel fokussieren. Da ist das Investment im Vorfeld höher und der ROI hat einen längeren Zeithorizont – wirkt aber nachhaltiger. Es braucht grundsätzlich einen Fahrplan und Unternehmen müssen immer wieder reflektieren, wo sie gerade stehen.
Bosch selbst ist ja den Weg zum klimaneutralen Unternehmen bereits gegangen. Was haben Sie auf dem Weg gelernt?
Diese Transformation ist ein Marathon und kein Sprint. Bosch will Vorreiter im Klimaschutz sein und hat diesen Anspruch in seinem Nachhaltigkeitszielbild über die Themenfelder Klima und Energie verankert. Dabei setzt die entsprechende Strategie dort an, wo das Unternehmen den größten Beitrag leisten kann. Wir haben mit unseren Aktivitäten den ersten großen Meilenstein erreicht: Seit Februar 2020 ist die Bosch-Gruppe klimaneutral, keiner der weltweit über 400 Standorte hinterlässt einen Scope 1 oder 2 CO2-Fußabdruck, dieser bezieht sich auf die Emissionen innerhalb der eigenen Produktionsstandorte. Auf diesem Wissen können andere Unternehmen jetzt aufsetzen. Wir konnten Klimaneutralität auch nur erreichen, weil es dem Unternehmen wichtig ist – und weil es nur mit guten Beispielen geht. Das war einer der Gründe, warum Bosch vorangeschritten ist. Wenn ein Industriekonzern dieser Größe dieses Thema priorisiert und es bei dieser Komplexität, in 60 Ländern und mit 400 Standorten schafft, klimaneutral zu produzieren – dann gibt es für andere Unternehmen keine Ausrede. Das war mit die Motivation: Wir wollen Leuchtturm sein.
Und bei Ihnen persönlich? Was hat Ihnen den Impuls dazu gegeben, Bosch Climate Solutions zu gründen und andere auf dem Weg zur Nachhaltigkeit zu unterstützen?
Da kamen viele Faktoren zusammen, die richtige Zeit, der richtige Ort, die richtigen Menschen. Ich habe als Betriebswirtin eine große Liebe zu Daten, aber auch zu Technologie, berate gerne Kunden – und ich konnte so zeigen, dass man auch in einem großen Konzern gründen kann. Nicht zuletzt wir tragen aktiv dazu bei, das Klima zu verbessern. Denn uns läuft wirklich die Zeit davon, auch wenn das noch immer nicht bei allen angekommen ist. ■