Hanna Hennig, CIO des Unternehmens, gewährt uns Einblicke, wie der Global Player seine Arbeitswelt neu gestaltet, welche Rolle Digital Leadership dabei spielen muss und wie das Unternehmen bei diesem Wandel die eigenen Mitarbeiter mitnimmt.
Frau Hennig, für eine Situation, wie wir alle sie im März erlebt haben, gibt es im Grunde keine Blaupause. Unternehmen mussten ihre Produktion umstellen, tausende Mitarbeiter ins Home Office schicken. Sprich: Sie mussten in einer ersten Krisenreaktion ihre Betriebe stabilisieren. Welche Prioritäten haben Sie in dieser Zeit gesetzt?
An erster Stelle stand und steht für uns die Sicherheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir mussten sie vor den Auswirkungen des Virus schützen und ihnen ein sicheres und produktives Arbeiten von zuhause aus ermöglichen. Das konnten wir erfolgreich bewältigen. Ebenso wichtig ist uns das persönliche Wohlbefinden unserer Mitarbeiter, denn nicht für alle Menschen ist es leicht, von zuhause zu arbeiten. Für einige ergeben sich große Herausforderungen: Das betrifft etwa Eltern mit Kleinkindern, Alleinerziehende ganz im Besonderen, aber auch Menschen, die nur wenig Platz zur Verfügung haben. Und es kommen weitere Aspekte hinzu: Das Gefühl der Isolation oder die ungewohnten Arbeitszeitrhythmen, wenn Rituale wie persönliche Meetings oder auch die Mittagspause mit den Kolleginnen und Kollegen wegfallen. Viele müssen neu lernen, achtsam mit sich umzugehen, nicht ununterbrochen vor dem Bildschirm zu sitzen, sondern auch zu sagen: ‚Ich mache jetzt mal eine Pause.‘
Sie verantworten als CIO von Siemens die IT von mehr als 385.000 Siemensianern, die in über 200 Ländern arbeiten. Wie haben Sie diese Ausnahmesituation, quasi von heute auf morgen große Teile der Belegschaft von zu Hause aus produktiv zu machen, gemeistert?
Wir mussten viele und detailreiche Herausforderungen meistern: Angefangen bei etwas so Fundamentalem wie dem VPN-Zugang und der Frage, wie wir sicherstellen, dass statt üblicherweise 60.000 Mitarbeiter jetzt von einem Tag auf den anderen 300.000 von außen sicher auf das Unternehmensnetz zugreifen können. Dieser Anforderung konnten wir schnell entsprechen, weil wir durch eine Cloud-Lösung skalierbar sind. Die Virtualisierung der Zusammenarbeit fördern wir mit Plattformen, auf denen aktuell bis zu 850.000 virtuelle Meetings am Tag stattfinden. Die Mitarbeiter, die zuvor vornehmlich in Büros gearbeitet haben, konnten wir so sehr effektiv unterstützen. Bei Mitarbeitern in Produktion oder technischem Service ist das schwieriger. Aber auch hier konnten wir viele kreative Lösungen finden, zum Beispiel Reparaturen oder Produktabnahmen mit Hilfe von Augmented und Virtual Reality-Technologie.
Können Sie dazu ein Anwendungsbeispiel nennen?
Mitarbeiter können in einem „berührungslosen Büro“ mithilfe einer digitalen Zugangskarte Zutritt zu Räumlichkeiten und Aufzügen erhalten. Im Gebäude managt und überwacht ein System dann den Belegungsstatus von Meetingräumen und Arbeitsplätzen. Diese können von Mitarbeitern vorab reserviert werden und das System sendet in Echtzeit Warnmeldungen, wenn Schwellenwerte erreicht sind. Mit diesen und weiteren Maßnahmen nehmen wir die Verantwortung wahr, die Rückkehr für die Belegschaft sicher zu gestalten. Und wir schaffen damit gleichzeitig auch ein Fundament für eine neue Art von Arbeit und Büro, denn wir beziehen unsere Kollegen an den Standorten aktiv in die Gestaltung des App-Contents ein. Dabei entstehen viele kreative Ideen, weit über das Thema der sicheren Rückkehr hinaus.
Was wir alle in dieser Zeit erfahren und gelernt haben, wird zweifellos zu nachhaltigen Veränderungen führen. Was nehmen Sie mit?
Wir haben tatsächlich viel gelernt und die „Kunst des Möglich-Machens“ erlebt. Nämlich, dass es durchaus möglich ist, auch außerhalb des Büros gut und produktiv zu arbeiten. Für mich ist in dieser Situation noch einmal deutlich geworden, wie wichtig es ist, Mitarbeiter in allererster Linie an das Unternehmen und nicht nur an ihren physischen Arbeitsplatz zu binden. Die Voraussetzung dafür ist ein Kulturwandel. Und dazu gehört auch, dass Führungskräfte einerseits Arbeit und Produktivität auf Basis von Ergebnissen statt Präsenz bewerten, und zum anderen müssen Führungskräfte ihren Mitarbeitern signalisieren, dass niemand an deren Produktivität zweifelt, nur weil sie mal nicht erreichbar sind, zum Beispiel weil sie sich gerade um ein Familienmitglied kümmern.
Was ist mit der Sicht der Mitarbeiter? Schließlich ist der Arbeitsplatz für viele von ihnen so etwas wie ein zweites Zuhause. Wie schaffen Sie es, deren Bedürfnissen gerecht zu werden?
Tatsächlich diskutieren wir die neue Art des Arbeitens intensiv mit unseren Mitarbeitern. Wir haben in verschiedenen globalen Regionen Umfragen durchgeführt, um zu verstehen, wie die Erfahrung, auch außerhalb von Bürowänden produktiv arbeiten zu können, ihre eigene Haltung verändert hat. Und dieser Input hilft uns dabei, besser zu verstehen, wie unsere Belegschaft in Zukunft arbeiten möchte. Und das diskutieren wir dann mit dem Vorstand, um zu definieren, was denn diese neue Normalität für Siemens bedeutet. Was wir definitiv verstanden haben ist, dass das zukünftige Arbeiten tatsächlich anders aussehen sollte als bisher. Das bedeutet, dass Mitarbeiter die Flexibilität haben sollten zu entscheiden, ob sie im Büro oder von zuhause arbeiten möchten. Daraus resultiert dann auch die Frage, ob es etwa künftig überhaupt noch feste Arbeitsplätze in den Büros geben wird.
Zum Abschluss möchten wir Ihnen noch eine persönliche Frage stellen: Wo arbeiten Sie am liebsten, wenn nicht gerade im Siemens Büro?
In meinem Arbeitszimmer zuhause, vor allem, seit ich den Familien-Drucker von dort verbannt habe, auf dem meine Kinder – gefühlt ununterbrochen – ihre Homeschooling-Unterlagen ausdrucken.
Frau Hennig, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch.
Mehr über die Zukunft der Arbeit bei Siemens erfahren Sie in unserem Talk "Leading Through Change – Wie Unternehmen sicher hochfahren" mit Hanna Hennig: