Die Herausforderungen im Gesundheitswesen sind altbekannt, allen voran steigende Kosten und eine alternde Gesellschaft, die für mehr Patient:innen sorgt. Gleichzeitig wächst auch die Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten exponentiell und ebnet – gemeinsam mit dem technologischen Fortschritt – neue Wege. Und das nicht nur für die Versorger:innen, sondern auch für Patient:innen. Denn die Art, wie wir Gesundheit denken und leben, wird und muss sich grundlegend verändern.
Unsere heutige Medizin teilt Menschen nach ihren Körperteilen auf – wir gehen zu Fachärzt:innen für Inneres, für Augen oder Zähne. Die digitale Transformation löst dieses Konzept immer mehr auf und wird eine ganzheitlichere Medizin ermöglichen. Der einzelne Mensch mit seinen persönlichen Daten wird zum Mittelpunkt des Geschehens. Die digitale Patientenakte sammelt Daten aller Fachbereiche erstmals zentral. Patient:innen können dadurch sicher sein, dass allen Behandelnden jederzeit alle wesentlichen Informationen für eine optimale Therapie vorliegen. Doch nicht nur das: Auch Forscher:innen gewinnen neue medizinische Einblicke und können innovative Behandlungsmethoden entwickeln.
Dieser Fortschritt erfordert jedoch höhere Transparenz. Denn Patient:innen wollen wissen, welche ihrer Gesundheitsdaten wie und wofür genutzt werden. Gleichzeitig hat das Internet medizinische Informationen für alle leicht zugänglich gemacht und Patient:innen emanzipieren sich – weg vom reinen Empfangen, hin zum aktiven Gestalten der eigenen Gesundheit. Laut Eurostat suchen 66 Prozent Gesundheitsinformationen online, bevor sie zur Sprechstunde gehen. Jede:r Dritte sammelt außerdem mit Fitness-Apps Daten über die eigene Gesundheit, hat der Bitkom ermittelt. Dabei gibt es einen spannenden Nebeneffekt: Die Übersicht über die persönlichen „Gesundheitsdaten“ erzeugt Transparenz und Bewusstsein, zum Beispiel darüber, wie lange man schläft oder wie viel man sich bewegt. Sie legt damit einen Grundstein dafür, im Sinne der eigenen Gesundheit zu handeln.
Doch nicht immer sind Patient:innen in der Lage, die Chancen der Digitalisierung für sich zu nutzen. Die Health-Literacy Survey GER 2 der Bundesregierung stellte kürzlich fest, dass fast zwei Drittel der Menschen hierzulande über eine eingeschränkte oder geringe Gesundheitskompetenz verfügen. Drei Viertel der Menschen haben zudem Schwierigkeiten, mit digitalen medizinischen Informationen umzugehen. Die Herausforderung besteht künftig darin, Patient:innen zu helfen, relevante Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden. Hier kommen zum Beispiel die neuen „Apps auf Rezept“, die digitalen Gesundheitsanwendungen, ins Spiel.
Dadurch ändern sich auch die Erwartungen an Mediziner:innen. Um die neue informierte Patient:innen-Generation zu stärken, sind andere kommunikative Fähigkeiten gefragt. Das Buzzword ist Patient Empowerment: Mediziner:innen agieren auf Augenhöhe mit den Patient:innen, werden zu Begleiter:innen und Coach:innen und treffen Therapieentscheidungen gemeinsam mit ihnen. Auch dadurch rückt das Patientenbedürfnis, über die Anamnesedaten hinaus, stärker in den Fokus der Behandelnden.
Diese neuen Erwartungen der Patient:innen werden die Branche immer stärker prägen und für die Player zum entscheidenden Faktor. Denn die Wirtschaft weiß, dass auch Gesundheitsversorgung immer „konsumentengetriebener“ wird – auch wenn das Wort Konsument:in kaum jemand in der Branche gerne benutzt. Klar ist: Patient:innen beurteilen heute Apotheken, Arztpraxen oder Kliniken nach dem Service-Erlebnis, bewerten ihre Erfahrung im Internet und sind bereit, für gute Leistungen Geld in die Hand zu nehmen. Die privaten Ausgaben für Gesundheitsleistungen steigen nach Angaben des BMWi jedes Jahr um knapp zehn Prozent. Visionäre Anbieter machen sich das zunutze, richten ihre Angebote neu aus und stellen Patient:innen in den Mittelpunkt bei der Ausgestaltung. Der Umbau des Gesundheitswesens hat begonnen, Apps wie etwa zur Unterstützung von Therapien bei Depressionen oder Multipler Sklerose können wie Medikamente verschrieben werden, Telemedizin wird allmählich zum Standard. Die Vorreiterrolle bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens nehmen unter anderem Dänemark und Estland ein – der Blick auf diese Länder verrät, wie es in Deutschland in einigen Jahren auch aussehen könnte. ■