NAH MAGAZIN / Mark Mast, Bayerische Philharmonie

Töne aus der Asche

 
 
 

Nichts geht mehr. Der Ausbruch der Coronavirus-Pandemie hat Kunst und Kultur vielerorts zum Stillstand gebracht. Intendant Mark Mast lässt sich aber nicht entmutigen und baut an der Zukunft der Bayerischen Philharmonie.

Auf den letzten Metern scheint Mark Mast eine fast überschwängliche Leichtigkeit zu überkommen. Hier hat er sein Handwerk erlernt und unzählige Konzerte erlebt. Er kennt die Gänge, Treppen und Garderoben wahrscheinlich besser als die Frack-Innentaschen seiner Berufsbekleidung. Noch einmal links, dann zehn raumgreifende Schritte, ab durch die Tür und angelangt ist der Chefdirigent der Bayerischen Philharmonie auf den Brettern, die seine Welt bedeuten, im großen Konzertsaal des Gasteigs in München. Doch heute ist alles anders. Statt ausverkaufter Ränge erwartet ihn nur ein rotes Meer an verwaisten, samtbezogenen Sitzen. Statt eines warmen Applauses als Willkommensgruß dröhnt eine unüberhörbare Stille durch den Saal, lediglich unterbrochen durch das Klicken einer Fotokamera.
 

„Es hat sich angefühlt, wie mit 200 gegen die Wand zu fahren“

Die Szenerie steht geradezu symbolisch für den Zustand des Kulturbetriebs in Deutschland und darüber hinaus. Seit dem Frühjahr 2020 schweigen Orchester und Chöre, bleiben Zuschauerränge leer und Ausstellungen geschlossen. „Wie mit 200 gegen die Wand fahren“, drückt es Mark Mast aus. Er ist nicht nur Chefdirigent, sondern auch Gründer und Intendant der Bayerischen Philharmonie mit ihren Orchestern, Chören und weiteren Ensembles.

Musik als Chance

Um Masts Motivation zu verstehen, lohnt sich der Blick zurück auf die Gründungsgeschichte der Bayerischen Philharmonie. Diese beginnt nicht in München, sondern 8.500 Kilometer Luftlinie entfernt, auf der anderen Seite des Atlantiks im verschneiten Colorado. „Ich habe als junger Dirigent das damalige Münchner Jugendorchester übernommen und wir wurden nach Denver eingeladen, um dort den neuen Flughafen zu eröffnen“, erinnert sich Mast, der die Organisation und Logistik für 85 Musiker:innen komplett in Eigenregie übernahm. Die Reise wurde ein voller Erfolg und Mast zum überzeugten Verfechter der völker-, kulturen- und menschenverbindenden Kraft der Musik. „Wir wollten das sofort wieder machen“, sagt Mast heute. Und um dem auch Taten folgen zu lassen, wurde aus dem losen Münchner Jugendorchester die Bayerische Philharmonie e.V. Ein gemeinnütziger Verein, der sich nicht nur dem gemeinsamen Musizieren verschreibt, sondern auch der Nachwuchsförderung und der Chancengleichheit.
„Seit unserer Gründung musste niemand aus meinen Chören oder Orchestern zuhause bleiben, wenn wir auf eine Reise gegangen sind, nur weil sie oder er es sich nicht leisten konnte.“ Dass das für Mast eine Herzensangelegenheit ist, ist kein Zufall und liegt auch in seinen eigenen Wurzeln begründet. Geboren und aufgewachsen im zwar malerischen, aber für Profi-Musiker:innen chancenarmen Schwarzwald, „wo es keine Orchester und philharmonischen Chöre gab“, wie er betont, begann er seine Reise nach dem Abitur als Straßenmusiker, studierte dann bei Leonard Bernstein und wurde schließlich Schüler in der Dirigenten-Meisterklasse von Sergiu Celibidache, dem langjährigen und legendären Generalmusikdirektor der Münchner Philharmoniker.

Nähe trotz Distanz

An den Tag, bevor seine alte Normalität endete, kann Mast sich nur zu gut erinnern. Es war der 9. März 2020, die letzte symphonische Probe fand statt. Ausgerechnet das Requiem von Verdi stand auf dem Plan – aus heutiger Sicht fast prophetisch, für das, was anschließend folgen sollte. Denn seitdem geht quasi nichts mehr, Aussicht auf Besserung ist, wenn überhaupt, immer nur am fernen Horizont, Orientierung, wie es weitergehen könnte, gibt es keine. Eigentlich eine Situation zum Verzagen. Doch nicht mit Mast.
 

„Für unsere Digitalisierung war Corona eine Chance, die wir ergriffen haben“

Zunächst einmal ist unser Kommunikationsbedarf explodiert“, erklärt er. Musiker:innen, Stammpublikum, Sponsoren: Der Austausch mit allen, mit denen die Philharmonie zuvor eng und meist auch persönlich in Kontakt war, musste nun in der digitalen Welt stattfinden. „Unser Glück war, dass ich schon im Jahr zuvor begonnen hatte, unsere Datenbank durch Salesforce abzulösen, sodass der Kontakt auch in der Pandemie nie abgebrochen ist“, so Mast. Soziale Nähe trotz physischer Distanz – das war das Motto. „Möglich hat das aber erst unsere Digitalisierung gemacht.“ Doch dabei soll es nicht bleiben. 

„In der Hinsicht war Corona sogar eine Chance, die wir ergriffen haben. Denn neben dem üblichen Probenalltag hätten wir gar nicht die Zeit dafür gehabt, unsere Digitalisierung in Partnerschaft mit Salesforce in dieser Weise voranzutreiben. So investieren wir jetzt in unsere digitale Zukunft, von der Website über Ticketing und Merchandising bis hin zu digitalem Marketing und sozialen Medien.“ Ganz getreu dem Plan, den er sich schon vor 25 Jahren gemacht hatte: „Ich habe immer gesagt: Bis ich 50 bin, kümmere ich mich darum, dass es die Bayerische Philharmonie überhaupt gibt. Zwischen 50 und 60 dann darum, dass es sie auch nach mir noch geben wird. Und jetzt, mit 57, bin ich mittendrin, unsere Zukunft zu bauen.“ Die Zukunft – oder die „Bayerische Philharmonie 2.0“, wie Mast sein Projekt gerne nennt.

Kraft der Kultur

Doch das analoge Erlebnis eines Orchesters oder eines Chores ersetzen, das kann die Digitalisierung nicht. Davon ist Mast überzeugt – weder für Musiker:innen, noch für das Publikum. „Ich glaube aber, dass gerade die Entbehrungen der letzten Zeit uns erst vor Augen geführt haben, welchen Wert Kultur für uns als Gesellschaft hat. Bislang haben wir sie als die dekorative Kirsche auf der Sahnetorte angesehen, als Nice-to-have. Dabei ist sie für uns alle viel essenzieller. Sie ist die Hefe im Teig unserer Gesellschaft, die treibende Kraft, also ein Must-have.“
 

„Ich will jetzt alles tun, damit wir wie der Phoenix aus der Asche wieder aufsteigen können“

70 bis 100 Konzerte und Veranstaltungen stehen in einem „normalen“ Jahr auf dem Spielplan der Bayerischen Philharmonie. Stattfinden konnte in 2020 lediglich ein Minimal-Programm. Dazu wurde beispielsweise das jährliche Benefizkonzert des Golfclubs Starnberg kurzerhand auf die Driving Range verlegt und die Gäste tauschten Galakleidung gegen Picknickkorb. Auch die weltweit renommierten Orff-Tage, die Mast vor nunmehr elf Jahren ins Leben rief, mussten nicht komplett abgesagt werden: Zwei Pianisten, fünf Schlagzeuger und der Human Beatbox-Europameister Robeat hauchten Orff vor einem kleinen Publikum ganz neues Leben ein und verzückten die Kritiker. „Beides war mehr oder weniger verrückt, dabei aber sehr erfolgreich. Und deshalb werden wir darauf aufbauen und die Ideen weiterentwickeln.“

Weiterentwickeln, Dinge neu erfinden und das auch in Zeiten, in denen Orientierung so schwer fällt wie nie zuvor: Mark Mast packt die Zukunft an und baut sie. „Ich will jetzt alles tun, damit wir hoffentlich bald wie der Phoenix aus der Asche frei und frohen Mutes auferstehen können – stabil, kraftvoll und stark.“ ■

 

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