Seit dem 1. Oktober ist Stefan Höchbauer Executive Vice President und CEO DACH bei Salesforce. Der 55-Jährige kennt die Branche gut: Zuletzt war er President Digital Core von SAP. Andere kennen ihn noch aus führenden Positionen bei Peoplesoft oder Oracle. Der erfahrene Manager hat Betriebswirtschaftslehre studiert und besitzt einen MBA der INSEAD. Nun stößt er zum Management Team der EMEA-Region von Salesforce – die weltweit am schnellsten wächst.
Wie ist es, während der Pandemie die Verantwortung in einem Unternehmen zu übernehmen, in dem man selbst neu ist? Stefan Höchbauer, seit Oktober EVP & CEO DACH von Salesforce, spricht im Interview über virtuelles Onboarding, Leadership aus der Ferne, die Bedeutung von Unternehmenskultur in Krisenzeiten – und warum Spaziergänge wichtiger denn je sind.
Herr Höchbauer, Sie treten Ihre neue Position unter besonderen Bedingungen an. Wie hat sich dieser Einstieg angefühlt?
Es ist schon eine außergewöhnliche Situation, weil sich das Hiring und Onboarding in allen Aspekten enträumlicht. Früher hätte ich jetzt wahrscheinlich jeden Tag zehn neue Leute kennengelernt, hätte erfahren, was sie antreibt und auf diese Weise viel über das Unternehmen lernen können. Ich treffe sie nun virtuell, aber spontane Begegnungen fehlen natürlich. Wie bei vielen anderen Dingen in der „neuen Normalität“ gilt: Es ist anders, aber es funktioniert – mit den richtigen Werkzeugen und Prozessen. Dennoch freue ich mich natürlich, mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder mit Kundinnen und Kunden wieder persönlich zusammenzusitzen – sobald das möglich ist.
Salesforce definiert sich stark über die eigene Unternehmenskultur. Wie sehr merkt man das in dieser Situation?
Krisen sind für die Unternehmenskultur die härtesten Proben, denn gerade dann zeigt sich, ob Unternehmenswerte wirklich echt und nachhaltig sind. Bei Salesforce haben wir den Anspruch an uns selbst, unserer Verantwortung gegenüber allen unseren Stakeholdern gerecht zu werden. Unseren Kundinnen und Kunden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, unseren Shareholdern, oder den Gemeinden gegenüber, in denen wir leben und arbeiten.
Unsere Belegschaft unterstützen wir beispielsweise bei der Ausstattung ihres Arbeitsplatzes zuhause, wir halten wöchentliche All Hands mit unserer globalen Führungsmannschaft ab und bieten Aktionen rund um körperliches und geistiges Wohlbefinden an. So wollen wir ihr bestmöglich in dieser von Veränderung geprägten Zeit zur Seite stehen. Ein anderes Beispiel dafür, wie wir in dieser Krise unsere Werte leben, ist, dass Salesforce im Frühjahr persönliche Schutzausrüstung beschafft und dem medizinischen Personal in besonders schwer betroffenen Regionen bereitgestellt hat.
Wie gestalten Sie aktuell die Interaktion mit Kundinnen und Kunden?
Für uns ist es jetzt noch wichtiger, den Kontakt so zu gestalten, wie diese es wünschen. Die Dreamforce war für Salesforce, unsere Kundinnen und Kunden, Partner und Interessenten immer ein zentraler Treffpunkt im Jahr, an dem über 170.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in San Francisco zusammenkamen. In diesem Jahr haben wir sie neu gedacht und bringen sie als „Dreamforce To You“ zu den Menschen nach Hause.
Home Office beäugen gerade in Deutschland manche Führungskräfte noch immer kritisch und fürchten, Motivation und Produktivität könnten zu kurz kommen. Wie sehen Sie das?
Diesem Denken liegt ein Führungsansatz zugrunde, der auf Kontrolle und Hierarchie beruht und den ich für veraltet halte. Vertrauen ist die Basis in der neuen Normalität und bei Salesforce einer unserer Kernwerte, der tief in unserer Kultur verwurzelt ist. Das wirkt sich darauf aus, wie wir miteinander arbeiten, Ziele festlegen und diese verfolgen. Dafür haben wir eine eigene Methodik, die wir V2MOM nennen. Darin legen wir als Organisation unsere Ziele fest, wir beschreiben, wie wir diese erreichen wollen und auf welche Hindernisse wir stoßen könnten.
An diesem Prozess kann sich jede und jeder im Unternehmen mit Vorschlägen beteiligen. Anhand dieses Corporate V2MOM definieren anschließend unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihren Managerinnen oder Managern, was sie zur Erreichung dieser Ziele beitragen können. Das V2MOM wird regelmäßig aktualisiert und an neue Gegebenheiten angepasst, so natürlich auch nach Ausbruch der Pandemie. So stellen wir sicher, dass wir alle die richtigen Prioritäten setzen. Diese Transparenz schafft Vertrauen und ist Ausdruck davon, dass es nicht darum geht, wo ein Schreibtisch steht und wie lange jemand daran sitzt – sondern dass man gemeinsam Ziele erreicht.
Inwiefern können Unternehmen aus dem, was sie jetzt an Neuerungen schaffen, auch längerfristig profitieren?
Wichtig ist: Die Krise an sich eröffnet Unternehmen keine neuen Chancen, sondern nur der Umgang mit ihr. Wir sehen, dass Branchen, in denen die Digitalisierung noch nicht so weit gediehen war, nun große Fortschritte machen und mit neuen Projekten aufholen. Als Wirtschaftsstandort haben wir jetzt die Möglichkeit, das zu unterstützen. Denn das ist auch klar: Die aktuelle Situation war für viele der letzte Glockenschlag in Sachen Digitalisierung.
Haben Sie selbst in dieser Situation neue Methoden oder Wege gefunden, mit ihrem Team Kontakt zu halten?
Manches habe ich wiederentdeckt. Beispielsweise, mich mit Kolleginnen und Kollegen auch mal zu einem Spaziergang im Freien mit gebührendem Abstand zu verabreden, wenn es die aktuelle Situation erlaubt. Auch so lassen sich Mitarbeitergespräche führen. Und in einer Zeit mit vielen Videokonferenzen wirkt auch manches Format anders als früher – ein schlichter Anruf etwa.
Worauf freuen Sie sich, wenn alle wieder im Büro sind?
So weit sind wir leider wohl noch lange nicht. Wenn wir zurückkehren, dann werde ich es besonders genießen, Teammitglieder persönlich zu treffen, kurze Wege zu haben und manches in der Kaffeeküche informell zu besprechen. Ich – und meine Kolleginnen und Kollegen – freuen uns schon sehr darauf. ■
Fotografie: Christian Krinninger